Triennale IIIKärnten 2023

Grenzüberschreitendes interdisziplinäres Kunstprojekt

Gernot Ragger

*1959 in Wolfsberg (A)
Lebt und arbeitet in Wolfsberg und Klagenfurt (A)

LESUNG von KSV-Mitgliedern zum Projekt „Im Schockwerk“

Artist Statement

schock

wenn er könnte wie er wollte würde er mir sich selbst versetzen
einen schock
einen schrecken
ein hochfahren
er würde es ohne bedenken tun
ohne rücksicht und ohne mitleid
ohne die folgen zu berücksichtigen
ohne sich zu fragen warum eigentlich

aber er wird es nicht tun
er kann es nicht mehr
ich habe ihm seine fähigkeiten gestohlen
habe ihn seiner selbst beraubt
alles was ihn ausmacht habe ich aus ihm wegradiert
eliminiert und ver-weg-geworfen
nie mehr schock habe ich auf das kuvert geschrieben in das ich sein sein gesteckt habe
aufgegeben per luftpost in eine schlucht ohne boden und aufwind
ein schwereloser fall
ciao schock

er fühlt sich stark wenn er sich seiner qualität erinnert
an früher erinnert als er gefürchtet war
unberechenbar und spontan
jetzt sehe ich ihn kommen
ich spüre wie er in seinen erinnerungen kramt und die vielen kleinen versprengten
puzzleteilchen zu einem großen ausgewachsenen schock zusammensammelt
ich erkenne seine absichten und wie er seine kräfte spart um den schock schockartig zuschlagen zu lassen
aber er kann meine verordnete zeitlupe nicht austricksen
sie stellt sich ihm in den weg
zwingt ihn zu umwegen
zwingt ihn kraft zu verschwenden und zuzusehen wie sein schock kraftlos zu boden sinkt ohne geschockt zu haben
auf halber strecke ringt er nach luft
die eingeimpfte langsamkeit zeigt ihre wirkung
mit schweren betonklötzen versehen setzt er mühevoll einen schockschritt vor den anderen

ich habe ihm seine schnelligkeit gestohlen
seine fähigkeit zu überraschen
seine berechenbarkeit unberechenbar zu sein
ich habe sein selbstherrliches reservoir an überlegenheit leergesogen und es mit luft gefüllt die sich seinen plänen in den weg stellt und sie verzögert bis nur noch ein zähflüssiges ergießen des schreckens übrigbleibt
kein knall
kein schuss
kein explosives ausströmen des schreckens
kein kalt erwischt werden
und keine spur mehr vom schock
dessen harmlosigkeit ihn nun selbst schockt und schreckt und ihn verwundert zurücklässt in einer pfütze aus horror und ängsten und herbeigesehnter verzweiflung des zu schockenden
langsam blubbert noch ein schockiertes antlitz aus dem aufgerissenen körper und wird starr

mein schock ist erstarrt
ist einfach steckengeblieben
ist verkümmert und ein trauriger rest der bösen absicht
mein schock ist nur noch ein wort
ein wort ohne wirkung das beliebig ersetzt werden kann da seine einzigartigkeit auf etwas
einziges reduziert war
konzentriert war
dieses einzige war sein leben und seine berechtigung
seine aufgabe die nun aufgegeben hat
mein raub hat den schock nicht verletzt aber er hat ihm den stecker gezogen
kein nachschub mehr
nichts im lager
keine auslieferung
es hat sich ausgeschockt
schockout

 

Text: Gernot Ragger