Triennale IIIKärnten 2023

Grenzüberschreitendes interdisziplinäres Kunstprojekt

Monika Grill

*1956 in Klagenfurt (A)
Lebt und arbeitet in Klagenfurt (A)

LESUNG von KSV-Mitgliedern zum Projekt „Apoplixia II“

26. August 2023 – LESUNG von KSV-Mitgliedern zum Thema SCHOCK im Rahmen der Ausstellung Apoplixia II (Kunstwerk Krastal)
Es lesen: Rhonda Lamberty, Monika Grill, Michael Maicher, Tom Ackermann, Sieglind Demus, Dagmar Cechak, Karin Ch. Taferner, Johannes Tosin und Stefan Zefferer.
Moderation: Alfred Woschitz, KSV-Präsident
Als Thema für künstlerische Auseinandersetzungen bietet Schock ein breites Spektrum an Möglichkeiten für Künstler, um ihre Gedanken und Emotionen zu verarbeiten und auszudrücken. Zum Einsatz kommen verschiedene Medien und Techniken, um das Thema Schock zu behandeln. Insgesamt kann der Schock als Thema für künstlerische Auseinandersetzungen eine intensive Erfahrung für Künstler und Betrachter sein.

Artist Statement

Ich höre Peter, seine müden Schritte, und wie er sich bemüht, mich nicht zu wecken. Ich tue, als würde ich schlafen. Trotzdem fragt er, aus alter Gewohnheit: „Schläfst du?“ Er möchte eigentlich nicht fragen, er möchte nicht, dass ich antworte, wir kennen uns, wir wissen, was passieren könnte, wenn ich antworten würde, wenn ich meine Augen öffne und „Nein“ sagen würde. Ich kenne die Maske, die er aufsetzt, wenn er in meinen Augen die deinen sieht. Aber ich kann nicht anders. Ich nicke und muss lachen, denn wer schläft und nickt zugleich. Das heißt, mein linker Mundwinkel hebt sich in Erinnerung an das Ich, das gelacht hätte, angesichts dieser Absurdität. Aber es genügt, das Heben des Mundwinkels. Diese Sprache, die wir uns teilen, er, du, ich. Sie ist eine karge, eine genügsame. Wir erwarten nicht viel von ihr, dort, wo wir jetzt leben.

Das gesprochene Wort hat sich als überflüssig erwiesen. Als Schattenlaut, fern der Wirklichkeit. Aber so viel ist uns geblieben: Ein Ja, ein Nein, hast du geschlafen, bist du hungrig. Wir sagen nicht „Hast du gut geschlafen? Schmeckt es dir? Wie war dein Tag?“ Wir kennen die Antwort. Und wer braucht schon Worte aus einem Leben, das von uns abgefallen ist wie das Laub vom Kirschbaum im Herbst.
Er legt sich neben mich, ohne mich zu berühren. In seinem flachen, gedrängten Atmen höre ich das Schluchzen, das er unterdrückt. Ich stelle mir vor, dass die Linie seiner linken Hüfte zu einem Seil wird, an dem du dich festhältst und darauf wartest, von uns an Land gezogen zu werden.

Im zweiten Jahr besuchte mich Zorn und blieb. Er setze sich an den Tisch und schenkte mir Wein ein, den reinen und den verjährten. Er lachte mich an und aus und nannte mich eine Närrin, eine Feiglingin. Er stupste mich in die Rippen, nahm mir meine Taschentücher weg und drohte mir, zu bleiben. Immer und immer wieder presste er seine Finger auf meine Brust, über der linken Herzkammer, ließ nicht locker und nicht los, bis ich eines Tages nicht mehr konnte. Und explodierte. Ich schrie und schrie und hörte nicht auf zu schreien und wusste nicht, wem meine Wut galt und wen ich mit meinen Worten umbringen wollte. Aber ich wusste, dass ich es wollte, mit großer Klarheit, mit eindringlicher Klarheit, die nichts anderes zuließ, als dass ich mich ihr hingab. Sie füllte den Raum, das Haus, den Ort, die Welt. Sie schleuderte sich hinaus ins Weltall und brannte heller als alle Sterne und Sonnen in allen Galaxien. Und ich fühlte mich zum ersten Mal seit Jahren wieder lebendig. Präsent. Der Schmerz zog sich zurück, das Klagen verstummte, und die allumfassende, kosmische Schuldzuweisung umhüllte mich wie ein Kokon, in dem ich mich endlich, endlich wieder spürte.

War er gerecht, mein Zorn? War er zuverlässig? Versprach er mir, was ihm nicht zugestand, mir zu versprechen? Nein, nein und nein. Ich wusste es und es kümmerte mich nicht. Ich schlug aus wie ein verletztes Pferd, dem auf der Zielgerade die Sehne gerissen war. Das sich seines Endes bewusst ist und in seinem Schmerz alles und jeden in sein Enden einbezieht. Ich schlug aus gegen deinen Vater, ich schlug aus gegen deine Geschwister, ich schlug aus gegen jede freundliche und besorgte Stimme, ich schlug aus gegen jedes Gesicht, das sich von mir abwandte. Ich schlug aus gegen meine Mutter Hermine, gegen meinen Vater Gustav, gegen meine Kindheit, meine Jugend, meine Geschwister. Und irgendwann schlug ich aus gegen dich.

Er überraschte mich, dieser Aufprall meiner imaginären Hand auf deiner imaginären Wange. Ich hätte Scham verspüren sollen, Reue, irgendetwas, das in mir diese Tat als ungeheuerlich und falsch begriff. Ich hätte sie sofort zurückziehen sollen, meine imaginäre Hand von deiner imaginären Wange. Stattdessen schlug ich nochmals zu und nochmals und nochmals. Und wieder schrie ich wie ein Tier, dem Tode nah, dem Unausweichlichen ausgeliefert, mein Körper drehte sich um sich selbst und glitt zu Boden, krümmte sich und schlug und schlug mit geballter Faust auf das polierte Holz, bis meine Finger blutig waren und meine Handgelenke versagten. Dann rollte ich mich zur Seite, zog die Beine bis zum Kinn hoch, klammerte mich mit meinen Armen an mir selbst fest und gab mich der Ohnmacht hin.

„Siehst du“, sagte Zorn, der noch immer am Tisch saß und mir zusah. „Niemanden kümmert es.“

Text: Monika Grill