Triennale IIIKärnten 2023

Grenzüberschreitendes interdisziplinäres Kunstprojekt

SHOCKHEADED PETER AND THE HORROR OF CHILDHOOD

1/9-16/09/2023
Atelier Ofner
"Struwwelhitler"

Künstler*innen

Sylvia Ofner

Termine



Das Projekt

Am Pranger (Der Struwwelpeter)

Sieh einmal, hier steht er.

Pfui! Der Struwwelpeter!

An den Händen beiden

ließ er sich nicht schneiden

seine Nägel fast ein Jahr,

Kämmen ließ er nicht sein Haar.

Pfui ruft da ein jeder:

Garst’ger Struwwelpeter.

Der Struwwelpeter wird vorgeführt und zur Schau gestellt. Man wird aufgefordert, sich dem abwertenden Urteil anzuschließen. Die künstlerische Gestaltung der Struwwelpeter- Figur widerspricht dem aber, denn der pubertär Widerspenstige hat es hier auf Provokation angelegt und trotzt den Erwachsenen und deren Beschneidungsintentionen. Das Haareschneiden als Akt der Demütigung verweist auf mittelalterliche Praktiken, als man Frauen vor der Fahrt zum Scheiterhaufen die Haare geschoren hat. In Kriegszeiten wurde bei Läusebefall das Haar abrasiert und damit der Gesellschaft dieser Makel offen gelegt. In amerikanischen Gefängnissen und Militär-Einrichtungen werden die Insassen als erstes ihrer Haare beraubt. Die Angst vieler Männer vor dem Friseur (Keirophobie) kann als Angst vor Kontrollverlust gedeutet werden. In früheren Zeiten zogen die Friseure auch die Zähne. Auf orientalischen Märkten ist dies auch heute noch üblich.

Mit dem an Afrolook erinnernden Hairstyle widersetzt sich ,,Struwwelpeter“dem konservativen Geschmack und stellt eher die ihn bloßstellende Gesellschaft an den Pranger. Seine Nägel sind lang und scharf wie Messer und bei Bedarf kann er sich damit gut zur Wehr setzen. Er hat es satt,dauernd von Erwachsenen wegen seines Aussehens ,zurechtgestutzt“ zu werden. Lange wird er die Sonntagskleidung mit weißem Kragen und ledernem Gürtel nach Burschenschaftler- Art auch nicht mehr tragen und manierlich will er sowieso nicht aussehen. Hingegen verbergen politische Machthaber oft ihre wahre Identität hinter sorgfältig gekämmtem Haar, militantem Haarschnitt,eleganten Uniformen, Designeranzügen, gewienerten Stiefeln, Lackschuhen und frisch manikürten Fingernägeln. Manchen,feschen“ Diktatoren mit ihren garstigen Gedanken und Taten kann man nur in der Parodie oder Satire gerecht werden, um nicht über die bis heute sichtbaren Folgen erschüttert zu sein.

(„Swollen-Headed William“,,Bombenpeter“,“Musso-Guck-in-dieL uft“.,Struwwelhitler“etc.)

Ausdruck der sich neu orientierenden Jugend und deren Rebellion gegen alles verzopfte Alte spiegelte sich in der Hippie-Bewegung der 1970er Jahre in den USA und der 68er Bewegung in Deutschland wider, als langes Haar und lässiger Kleidungsstil ein Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmung vermittelte und weltweit junge Leute beeinflusste. Heute allerdings trägt der allzu lässige Stil wilde Blüten und das Zurschaustellen löchriger, zerrissener, ausgefranster Kleidung und verfilzten Haares als modisches Statement zeigt die mannigfache Verwahrlosung des Menschen und den mangelnden Respekt vor Natur und Umwelt. Ob das ,,Pfui, ruft da ein jeder“ hier angebracht wäre?

Das Spiel mit dem Feuer (Die gar traurige Geschichte mit dem Feuerzeug)

Doch weh! Die Flamme fasst das Kleid,

die Schürze brennt; es leuchtet weit.

Es brennt die Hand, es brennt das Haar,

es brennt das ganze Kind sogar.

Und Minz und Maunz, die schreien

gar jämmerlich zu zweien:

,Herbei! Herbei! Wer hilft geschwind?

Im Feuer steht das ganze Kind!

Miau! Mio! Miau! Mio! Zu Hilf!

Das Kind brennt lichterloh!“

Von Beginn an lässt sich ahnen, dass etwas Schreckliches passieren könnte, wenn Eltern Kinder allein zu Hause lassen. Die Vernachlässigung der elterlichen Aufsichtspflicht hat schon manche Kinder zu Tode gebracht wie aus dem Fenster gestürzte, von Autos überrollte, in Brunnenschächte gefallene etc.

Zwar ist das Mädchen nicht ganz allein, denn zwei Katzen, die in einem Nahverhältnis zur Protagonistin zu stehen scheinen, versuchen sich als lautstarke warnende Instanz. Doch die Versuchung ist zu groß, es den Erwachsenen gleichzutun und souverän das gefährliche Element zu beherrschen. Schon manche jugendliche Mutprobe beim Spiel mit dem Feuer ist zur tödlichen Falle geworden. Die verheerendsten Folgen jedoch gibt es,wenn politische Mächte zündeln und durch Kriege ganze Weltenfeuer entfachen.

Die ambivalente Symbolik des Feuers zeigt den wärmenden, leuchtenden, verzehrenden Aspekt einerseits und den Schmerz und Tod bringenden andererseits. Viele Mythen beschrieben es als ursprüngliches Eigentum der Götter, das erst durch Raub in den Besitz der Menschheit kam. Zu bedenken ist,dass in den Anfängen der Menschheit die Zähmung des Feuers den Beginn der Kultur markierte. Vielfach ist es heiliges Symbol des häuslichen Herdes (feuerhütende Vestalinnen im alten Rom), symbolisiert Inspiration und Heiligen Geist, Reinigung, Vernichtung des Bösen, andererseits hat es den Aspekt des Höllenfeuers und der Zerstörung. In der psychologischen Symbolik spricht man u.a. auch vom Feuer der Leidenschaft, der Ideen-Ergriffenheit und der Glut des Herzens.

Die beiden Katzen bringen dem halbwüchsigen Mädchen wiederholt die Verbote der Eltern in Erinnerung, aber es gibt kein Zurück mehr. Ob das lodernde Feuer ein Unglück, eine verhängnisvolle erotische Leidenschaft oder gar einen Suizid darstellt, bleibt offen.

In Ägypten wurde die Katze durch ihre Gegnerschaft zur Schlange zum heiligen Tier des Sonnengottes. Im deutschen Aberglauben ist die Katze Begleiter von Hexe und Teufel und Ihr Erscheinen bedeutet etwas Schlechtes; sie ist Bote drohenden Unheils. Man soll ein Kind nicht mit einer Katze allein lassen, denn es kann leicht behext werden. Eine dreifarbige Katze jedoch schützt vor Feuer und bringt nach schlesischem Glauben überhaupt Glück, während man in Westfalen Katzen, die schwarz, weiß und gelb sind, für unheilvoll hält. ,Wenn einer seine Katze schickt“, so kümmert er sich nicht selbst um eine Angelegenheit, sondern lässt sie von einem unbedeutenden Untergebenen erledigen. Das Geheul, das normalerweise verliebte Katzen nachts von sich geben, kann den tragischen Verlauf dieser Geschichte nicht aufhalten. Zum Schluss ist sprichwörtlich alles für die Katz, vergebens, umsonst, denn das Mädchen ist im Feuer umgekommen.

Der Schneider mit der Schere (Die Geschichte vom Daumenlutscher)

Bauz, da geht die Türe auf,

und herein in schnellem Lauf

springt der Schneider in die Stub

zu dem Daumenlutscher- Bub.

Weh! Jetzt geht es klipp und klapp

mit der Scher‘ die Daumen ab,

mit der großen scharfen Scher‘!

He! Da schreit der Konrad sehr.

Die spektakuläre Szene zeigt den Moment des Abtrennens eines Daumens mittels einer großen Schere. Blutstropfen fallen auf den Boden und das Kind schreit vor Schmerzen. Der Täter in auffallend eleganter Kleidung scheint diesen Bestrafungsakt zu genießen und fühlt sich in seiner Rolle als übergeordnete Instanz und Exekutor gerechtfertigt, wobei die rote Hose auch seine Erregtheit und männliche Überlegenheit zeigt. In der Vorgeschichte wird ein Verbot und die Konsequenzen bei Nichtbefolgen ausgesprochen. Das Daumenlutschen und Nuckelbedürfnis als Sehnsucht nach dem Körper der nährenden Mutter oder als genital-sexuelles Interesse interpretierbar, wird quasi als Sittenverstoß schwer geahndet. Des Schneiders Schere steht hier nicht nur für das Abschneiden des Daumens, sondern weist auch hin auf Beschneidungsrituale, Kastration und Genitalverstümmelung in verschiedenen Kulturen. Im weiteren Sinn kann sie für die Beschneidung der Kindheit schlechthin gesehen werden. Dazu gehören all die tragischen Biografien von ungewollten, verstoßenen, verleugneten, vernachlässigten, geschlagenen,verwaisten, missbrauchten, verachteten oder abgetriebenen Kindern.

Der Beruf des Schneiders hatte in früheren Jahrhunderten ein schlechtes Image, weil sie einerseits sehr schlecht verdient haben und andererseits oft schwächlich und dünn waren. Heute sind Maßschneider und Designer positiv besetzt, stellen sie doch nach dem Zer- und Zuschneiden des Textils hochgeschätzte Kleidungsstücke her.

Der Schneider alias Schnitter hingegen ist Gevatter Tod und wird oft als Sensenmann dargestellt, eine aus dem Mittelalter stammende Allegorie des Todes. In der Geschichte vom Daumenlutscher-Bub versteckt sich der Schnitter im Dandy-Outfit.

Die Schere, aus zwei sich aufeinander zubewegenden Messern bestehend, ist in ihrer Symbolik ambivalent. Die Schere kann, indem beide Teile zusammenwirken, sowohl Vereinigung zweier Seiten als auch Trennung durch Zerschneiden bedeuten. Als Destruktionswerkzeug (Zange, Messer, Schwert,Sichel, Sense, Rasierklinge etc.) beschädigt sie das Objekt, fügt ihm Wunden zu,die auch zum Tod führen können. In der griechischen Mythologie ist sie Attribut der Schicksalsgöttin Atropos, die mit ihr den Lebensfaden durchschneidet. AIs Traumsymbol steht sie für die Einheit von Spirituellem und Physischem. Bei den Surrealisten tritt sie als Motiv auf und Kiki Kogelnik geht damit dem Boys Club an den Kragen. In China ist sie schon lange als sensibles Werkzeug zur

Schaffung kunstvoller Scherenschnitte bekannt, der sich auch Ai Weiwei in seinen Papercuts 2019 bedient und Henri Matisse wird der Maler mit der Schere genannt.


Atelier Ofner

Atelier Ofner

Troyerstr. 55

9020 Klagenfurt

01.09.23 – 16.09.23

Freitags und Samstags 15.00 – 17.00 Uhr

Troyerstraße 55
Troyerstraße 55
9020 Klagenfurt am Wörthersee